Barbara anna Hubig

Wahrnehmen und Sehen oder
wie kommt der Text zum Bild

Über Bilder schreiben, über meine Vorstellungen von, über Malerei schreiben, heißt über wahrnehmen, sehen, erkennen, er[innern] schreiben. Ich formuliere Worte, Sätze zu dem, was ich in mir abbilde, an das ich mich er[innere]. Ich nehme wahr, eine Vielzahl von Wahrnehmungen zu … , das innere Geschehen bezeichnen … Intensitäten fertigen mein Er[innern]. Ich formuliere. Ich bringe Wirklichkeit hervor, ich erfinde Sein. Suchend, lasse ich mich leiten, in welche Richtung sich meine Gedanken bündeln werden, weiß ich nicht. Kein Bild vor Augen, versuche ich den Vorgang des sich er[innern]s zu erfassen. Wieder und wieder surren Situationen, Augenblicke mit Bignia und deren Bilder durch meinen Kopf, Gespräche sitzend, stehend, lachend, knirschend, sorgend, anheizend, auch das. Ich er[innere] Bänder, wie Straßenführungen durch das Bild. Farbflächen, die sich einfügen, ausstoßen, treibend um die Ecke schleichen, Ränder zusammengesetzt, kippend. Ich möchte in die Tiefe dringen und werde durch die Fläche ausmanövriert. Sehe Schraffierungen, kantig beißt sich ein Türkis neben ein Rotbraun, grobmaschig legen sich Striche ausgefranst als Gravuren in die Flächen hinein. Knoten bündeln Farbströme, manches Mal tröpfelnd aus. Dreckiges Graublau schlängelt sich unter Rotgelbbeigeweiß durch, um mit einem Sog aus der Leinwand zu treten. Das Konkrete in der Reduktion geschichtet, hinein, gespachtelt, trotzend vorhanden, gemalt. Vogelperspektive. In den Bildern, die ich wahrnehme, sind Flächen aufeinander zugetrieben oft in winzige Formen, Kleckse zerfallend, ein weißes Sprenkel läßt mich nur für einen Augenblick etwas Dingliches assoziieren, bevor gestreute Splitter sich vorschieben. Gesetzte Flächen holen mich ein. Das Bildhafte letztlich doch in die Abstraktion eingenäht, denke ich. Meine Vorstellungen über die Bilder werden Gegenstand meiner Beobachtung1. Die Bildtektonik schiebt sich in mein Er[innern]. Titel kleben manchmal am Wort und es braucht Zeit, den Inhalt der Wörter zu verlieren. Dort, wo die Worte Zeichen sind, wird die Fläche vorgestellter Raum: Wissen setzt sich im Arm durch. Es dominiert Rot, Blau, begleitend ergießen sich schwarze, grüne, gelbe Farbbahnen eruptiv, liniengleich aus/über der Leinwand. Aufgerissene Flächen, die in ihrem Verlauf Bahnen kreuzen, treten zurück, blenden sich wieder ein, lösen sich auf. Ein-, Überzeichnungen mit Pinselstrichen reiben sich mit den Farbflächen oder berühren diese gerade noch, um dann sofort mit meiner Aufmerksamkeit2 zu verblassen. Mir bewusst werdend, daß sich die Bahnen wie Anker in mein Er[innern] setzen, mühen sich Unterscheidungen im Farbwechsel Grün, Blau, Türkis gleichzeitig überlappend. Schwarz tritt wieder, wieder auf. Weiß, nur einige Leinwände ohne. Es wirkt der Prozeß an meiner Hand. Der Vorgang sehen gleitet, blendet kleine Flecken/Formen ein, fügt daneben, mit- und auseinander, am Gegenstand haftend. Ich schließe die Augen, freie Momente werden nun vom Weiß eingeräumt, bedrängt von Gelb, Gelbbraun, Rosa. Ultramarinblau berührt Weiß. Überlagerungen entstehen senkrecht in der Fläche vom Glanz des Schwarz angerissen, das grenzziehend bindet. Flächen drücken sich wie schroffe Gesteinschiebungen in meine inneren Bildräume, eng geschichtet, aneinander gedrängt wie dünne Papierlagen, die Flächen übereinander drapiert, stoßen sie sich. Gekräuselte Farb(r)inseln dort. Wo der Fuß von der Ebene gehalten wird, kippt die Farbe, Negativflächen, -bänder treiben mein Aufmerken aus dem erfundenen Objekt. Andere Leinwände bleiben ohne Titel gegenstandslos in mir haften, angelehnt an das Geschehen, welches wir Alltag nennen, in dem wir uns begegnen. Ich suche Worte für meine Vorstellungen, ich folge assoziierend, füge zusammen. Begriffe, die sich auf sich selbst beziehen werden erkennbar durch Operationen in meinem Gedächtnis, ich er[innere]. Da, wo die Variabeln, wie über etwas gesprochen wird, vorgegeben sind, hakt sich meine Aufmerksamkeit fest, ich stelle die Fragen noch einmal. Die abgelegten Worte in den von uns dafür angefertigten Schubladen sind eher nachtragend, denke ich, gemachte Welten, auch dort, nur dem Wiederholungssog verfallen, die Ausgangspunkte bleiben so und nicht anders. Geht es so, dann wieder so. Ich nehme diese Vorgänge wie Operationen in mir wahr. Laufende Filme, die mein Erkennen immerfort abspielen, das sich in ständigen Schleifen wiederholt, nicht annähernd gleich, aber auch. Wiederholungen, die ähnliche, neue, andere Bilder, Worte, Sätze in meine Bewusstheit schieben. Wahrnehmen, sehen, er[innern], erkennen, so; wahrnehmen, er[innern], erkennen, sehen, oder so; in mir entstehen Bilder, Formen, Farben, ein unten, ein oben, Eindrücke, Visionen von Bildern. Ein Vorgang beunruhigt mich. Es nervt in mir. Lagen von dunklen Flächen treffen auf geordnete Bildwelten, die in den inneren Räumen, dem was wir Gedächtnis nennen, intensiviert sind. Räume, deren Ordnungen ich nicht kenne, manchmal springt mich ein Gedanke an, der zündelt. In Sprache formen, ist die Erkenntnis zeigen im Außen, dort. Zweigemacht und doch keine Adaption. Es zieht mich in diesen Prozeß des Beobachtens hinein. Aufmerksamkeitsmomente fallen zusammen mit Impulsen durch die Farbwelten der Bilder. Fragmente fügen sich in meinem Er[innern] zu Bildwelten. Ich gehe mit der Nase dem Wort nach. Den Satz kreise ich ein. Ich jongliere mit Begriffen versuche mich vom Gegenständlichen, den Bedeutungen der Worte zu trennen. Ich löse die Zahl vom Objekt, um die Elemente verbinden zu können. Ich baue und füge das in meiner Vorstellung zusammen, was in meinem Gedächtnis aktiviert ist3. Die Unterscheidung dort Bildobjekt im Außen und hier Bildvorstellung im Inneren zeigt sich unabhängig davon, ob das gemalte Bild vor mir hängt. Ich nehme Unterschiede wahr. Ich versuche bewusst Zeichen vom gesehenen Bildobjekt einzubeziehen in meine Vorstellungen vom Bild. Übereinstimmungen nahezu, unterscheiden wandelt. Wäre da ein dunkler Raum und ich würde diesen blind betreten, da wäre nichts woran sich meine Aufmerksamkeit fokussieren könnte, da ich nicht sehen kann. Ich bewege mich langsam im Raum und treffe auf einen Gegenstand. Ich fasse ihn an, richte meine Aufmerksamkeit jetzt zentral aus. Aber auch dort wo kein Blick festgehalten wird, kein Gegenstand als Barriere wirkt, ist Wirklichkeit als Black Box. Wo ist der Schuh, der mir dann Halt geben kann. Auf die Frage, was denn ein Krokodil sei, kann nahezu jeder Mensch eine Vorstellung produzieren. Bignia Corradinis Bilder sind Sichten auf …, ahne ich. Erneut versuche ich beim Schreiben über/zu … mich meiner eigenen Operationen zu erinnern. Vorstellungen von etwas von jemandem besetzen jetzt meine Wachheit. Ich suche nicht nach einem Anfang, bin mitten drin. Inmitten von Farben, von Flächen, Räumen, von Figur und Nichtfigur, von geometrischen, mathematischen Formen, Formeln, von Linien, von Gerüchen, von angefassten Materialien. Sprache als Möglichkeit, Ausdruck zu finden, um die durch mich gemachten Referenzen, Unterschiede in Sätzen zu formulieren. Er[innere] ich z.B. ›Widerstand‹, ist eine Vorstellung in mir vorhanden. Es ist eine Art bewusstes Geschehen davon, wie ich vorgehe oder nicht vorgehe, davon was ich ausschließe, sehe, aber nicht wahrnehme. Je präziser und ausschließlicher ein Ausschnitt durch mich sehend wahrgenommen wird, desto dominanter bestimmt er im vorgestellten Raum das, was ich ausschließe. Ein Gedanke erinnert mich an Heinz von Foerster: "Ohne Vorstellung gäbe es weder Zahlen, noch Geometrie, alle geometrischen Figuren, sind Idealfiguren, die wir nur in unserem Kopf denken können. Es sind abstrakte Vorstellungen … ".4 Plötzlich ist ein gemaltes Rot im Bild wie ein Gegenstand im Raum, es drängen sich Situationen, Dinge in die Zustände meiner Wahrnehmungen. Wie ich mir der Teile, der geknüpften Verbindungen bewusst werde, bleibt unerkannt. Dem Bewußtsein als Begriff annähern, eher darüber, indem mir bestimmte Geschehnisse gewahr werden, die ich unbewusst machte.5 Vorgänge dieser Art könnte ich nicht wahrnehmen, beschreiben, gäbe es da nicht eine Einheit in uns, bezeichnet durch den Begriff ›Gedächtnis‹, die fähig ist, Zustände zu produzieren, an denen gemessen, sich Wahrnehmbares durch Vergleich als Abweichung feststellen läßt. Schaue ich mir ein Bild von Bignia Corradini an, das ich sehr gut kenne, dann bemerke ich sehr schnell, dass dieses Bild nicht in einem Stück sozusagen vor dem inneren Auge auftaucht, sondern, dass ich eine Art erstes Sehen nachvollziehe. Ich baue das Bild aus Teilen auf, indem ich einen ähnlichen Weg wie beim ersten Mal nachvollziehe, nur jetzt tue ich dies in der Erinnerung. Ich reproduziere oder noch besser erfinde das Bild jedes Mal neu, wenn ich es sehe. Die Logik der Beobachtung ist die der Beobachterin, des Beobachters und deren Unterscheidungen. Was immer ich also wahrnehme, konstruiere, sehe, erfinde ist gespeist aus den bis zu diesem Zeitpunkt gemachten Beobachtungen sowie deren Verknüpfungen, die abrufbar in mir als Subjekt auf ihre Aktivierung warten. Draufsichten sehe ich, wenn ich die Bilder er[innere], neu erfinde. Keine Anschauung, sondern unOrdnungen, Zeichen, Spuren der Dinge im Raum. Im Arm, im Fuß das Tempo, die Atmung in der Bewegung, die Wechsel im Fluss stehend. Die Teile erscheinen wie Farbschnipsel im bündeln meines Blickes. Ein Taumel von Zeichen fängt mich ein, das Bild als Ganzes wird unscharf, die Schärfe liegt im Detail, das Geschehen im vorgestellten Raum. Die Malaktion in Zeichen verschlüsselt, ja doch, jedes Bild eine Black Box. Das Bild, die Konstruktion einer Black Box. Es erlaubt mir, die Sequenzen in der Vergrößerung wahrzunehmen. Die freien Wahrnehmungsaugenblicke zeigen sich gleichzeitig durch Unschärfe. Schauend blinzeln. Anfang und Ende sind weit weg, da(zwischen) bestimmt die Beobachtung, so ist jeder Tag, Tag um Tag. Es gibt kein Ende.

Literatur:

1 Ich beziehe mich auf Heinz von Foerster und nehme an: dass eine Beobachtung die Feststellung eines Unterschiedes ist (1985: Sicht und Einsicht. Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg & Sohn). Gleichzeitig verstehe ich mit Gregory Bateson unter Information einen Unterschied, "der bei einem späteren Ereignis einen Unterschied ausmacht". (1985: Ökologie des Geistes: Suhrkamp S. 453 ( Orginal erschienen: 1972: Steps to an Ecology of Mind. Collected Essays in Anthropology, Psychiatry, Evolution and Epistomology)

2 Ich beziehe mich mit dem Begriff Aufmerksamkeit auf die Theorie von Silvio Ceccato, für den die eigentlichen Grundoperationen nicht die physischen Bewegungen, sondern Momente der Aufmerksamkeit sind. Momente der Bewegung, wenn die Aufmerksamkeit sich von einem Begriff zu einem anderen verschiebt. In der Regel stellt man sich vor, dass Aufmerksamkeit wie eine Art Scheinwerfer, der etwas beleuchtet funktioniert ; wie der Blick, wenn er schaut. Bei Ceccato ist es eine pulsierende Angelegenheit, ein gleichmäßiger Rhythmus von Momenten.

3 Ich beziehe mich auf Jean Piaget, der darauf besteht, dass alle Begriffe das Resultat von mentalen Operationen sind und physische Gegenstände nichts seien als Hindernisse, an die der Organismus sich anpassen muss.

4 (1999: Wie wir uns erfinden. Carl-Auer-SystemVerlag , S. 176)

5 Auf eine Definition von Bewusstsein an dieser Stelle weiter einzugehen, würde den Artikel sprengen. Ausführungen zu diesem Thema finden sich in den Schriften von Magaret Mead, Gregory Bateson, Maturana, Varela, Foerster, Glasersfeld, Luhmann, Willke, S. J. Schmidt um nur einige Autoren zu nennen, die sich mit der Kybernetik oder der Theorie des Konstruktivismus befassen.

© Barbara anna Hubig, Berlin

in: Bignia Corradini: Arbeiten 1996-2000, G+H Verlag Berlin, 2000, 100 S., 66 Farb-Abb.

 

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