Elisabeth Grossmann
Ansprache Bignia Corradini. Losgelöste Zentren
Rede zur Eröffnung der Ausstellung am 27. April 2019 in der Galerie Adrian Bleisch, Arbon.
Als Bignia Corradini in den 1970er Jahren in Berlin begann, sich mit der Malerei zu beschäftigen, war diese gerade eben für tot erklärt worden. Die Malerei, Königsdisziplin unter den Medien, über Jahrhunderte hinweg in den Dienst der Kirche, der Königs- und Fürstenhäuser gestellt, vom Bürgertum aufgegriffen, Inspirationsquelle für Musiker und Schriftsteller, sei überholt – so die vorlaute Meinung. In den letzten Jahrzehnten wurde sie noch mehrmals für tot erklärt, um dann nichtsdestotrotz wieder- und wiederentdeckt zu werden, im Kontext des wechselnden Zeitgeistes. Und heute, wo wir von den digitalen Medien geradezu überflutet werden, wir der immer gleichen glatten Oberflächen längst überdrüssig geworden sind, nimmt die Malerei wieder die nur ihr zukommende Alleinstellung ein: Stofflichkeit, Körperlichkeit, Materialität.
Bignia hat diese Werteverschiebungen miterlebt, ohne je von »ihrem« Medium je abzukommen. Um diese ihre Position in zwei Sätzen zusammen zu fassen, müsste es heißen: Bignia Corradini – Berufung Malerei, Beruf Malerin.
Was ist sie denn, die Malerei? Nichts weniger oder mehr als Farbe auf einen Bildträger übertragen. Nichts lässt hinter dieser simplen Erklärung darauf schließen, dass sich in diesem Medium, selbst beschränkt auf die Arbeiten einer einzigen Malerin, eben Bignia Corradini, so immens viele unterschiedliche Facetten des Zusammenführens von Form, Farbe und Materialität verbergen. Dass es in ihrer Malerei mehr um das Wie denn das Was geht, um die Grundlagen der Malerei und nicht das Motiv, hatte sich bereits in den 1970er Jahren angekündigt, als Bignia mit ihren kraftvollen Frauenfiguren an die Öffentlichkeit trat. Kurz darauf folgte, Konsequenz dieses Kreisens um das Wie die endgültige Hinwendung zur Abstraktion. Was sich zuvor als eine vom Motiv ausgehende energetische Struktur abgezeichnet hatte, begann sich Ende der 1970er Jahre zu verselbstständigen, um, losgelöst von jeglicher Abbildungsfunktion ein Eigenleben zu führen. Ergründung und Erforschung der Malerei auf ihren Grundlagen, basierend auf einem gleichbleibend zentralen Moment: Spannung, Umschwung, Bruch, Energie und Bewegung. Im weitesten Sinn lässt sich dies deuten als Bignia Corradinis Ausdruck des In-der-Welt-Seins, indem Gesehenes, Gelesenes, Gehörtes, Geschmecktes als Nachhall mit ein fließen, transformiert, im stetigen Diskurs zwischen Außen und Innen, in die Form- und Farbsprache der Malerei. Eine Malerei voller Kontraste – die Formen sind bald brüchig und zackig, bald wellenartig rollend, springen sich gegenseitig an, brechen ab oder verfasern, überkreuzen und überlagern sich oder schmiegen sich einander an in einem nie endenden Strudel von Bewegung und Gegenbewegung. Desgleichen agiert die Farbe, die, warm neben kalt, dunkel neben hell, die Gegensätze verstärkt, sich von irrlichternden Gelbtönen über ein lichtes Grün, ein helles Blau, ein dunkles Rot wieder dem Schwarz oder Weiß zuwendet, alle Nuancen von Zusammenklängen, von sperrigen, kristallinen bis zu wolkig weichen, durchstreifend. Malerei wie Musik. Geht es nur mir so, dass ich Bignia Corradinis Bilder nicht nur sehe, sondern auch höre? Ich Formen und Farben wie die Klänge einzelner Instrumente wahrnehme, fließend oder staccatohaft, hell oder dunkel, eine Klarinette, ein Cello, eine Bratsche, die sich gegenseitig untermalend zu einer großen Symphonie zusammen fügen?
Ist bereits das einzelne Werk für mich von solch’ symphonischen Verläufen gekennzeichnet, so möchte ich dieses Moment ebenso auf die die einzelnen Werkphasen wie das Gesamtwerk von Bignia Corradini übertragen. Im reich bebilderten Buch, das letzten Herbst in Deutschland erschien und für uns heute aufliegt, ist die große Entwicklungslinie auf rund zweihundert Seiten nachgezeichnet. Sie weist keine abrupten Zäsuren, sondern eher sukzessive Verlagerungen und Verschiebungen auf, vom immanenten Ideenfluss der Neu-Entdeckung gespeist. Zu nennen: die sukzessive Verwandlung der Figuration in die Abstraktion, die Verlagerung von den frühen sperrigen, splittrigen Bildstrukturen über die der fliegenden Fetzen und Flecken bis zu den Form-/Farbströmen des letzten Jahrzehnts, die Aufnahme des Rundbildes (Tondo) als Ergänzung zum klassischen Rechteckformat, die Auseinandersetzung mit der islamischen Ornamentik als Gegenpart zur eigenen westlich geprägten Malerei sowie die Ausdehnung des Bildraumes auf die dritte Dimension.
Stets scheint das Eine organisch aus dem Vorhergehenden zu wachsen, erklärbar auch dadurch, dass Bignia Corradini nicht an einem einzigen Werk, sondern gleichzeitig an mehreren arbeitet. Zweimal hat sich die Malerin intensiv der Arbeit auf Papier zugewandt, nicht in ihrem Atelier in Berlin, sondern während zweier Aufenthalte in New York. 1980 entstand eine Serie von schwarz/weißen Notationen über die Fleckenform, die dazu inspirierten, sie später in eine Reihe farbiger Leinwandbilder zu übertragen. 1988 folgte die Auseinandersetzung mit der islamischen Ornamentik, deren geometrische Ausrichtung Bignia Corradini im Diskurs zwischen West und Ost mit eigenen Form-/Farbelementen übermalte. Auch dieser Zyklus, auf entdeckten und erworbenen Musterbüchern festgehalten, 2014 hier in der Galerie in einem langen Doppelfries präsentiert, hat später Eingang in das Leinwandbild gefunden. Wie diese beiden Transformationen von einem in ein anderes Medium gingen auch die BildObjekte, ab 1992 entstanden, organisch aus der Beschäftigung mit dem Leinwandbild hervor. Die Tiefenwirkung und Bewegungsverläufe, die Bignia in ihren Bildern erzeugte, riefen geradezu danach, sich in der Dreidimensionalität entfalten zu können. Vorerst festgehalten in den so genannten «Quadern«, bei denen der Bildverlauf über die Ecken und Kanten gezogen wird, später auf in auf Sockel platzierte Kugeln und Pyramiden erweitert, die rundum zu betrachten, einen steten Perspektivewechsel evozieren.
Symphonisch – bleiben wir bei diesem Hilfswort für eine Malerei, die sich schwer in Sprache übersetzen lässt – ist nicht nur das Werk, sondern auch die Art und Weise, wie Bignia Corradini dieses im Raum inszeniert. Die großen Leinwandbilder, die kleineren Bildobjekte und die im Luftraum schwebenden Tondi sind in ständigem Gespräch, lassen Verwandtschaften, Brüche und Sprünge erkennen. Die Inszenierung wirkt somit gleichsam als Spiegel, indem sie zu erkennen gibt, dass diese Malerei mehrschichtig ist, sie auf Intuition und präziser Setzung, Empfindung und Reflektion beruht.
Das Explizite dieser Malerei ist, über die souveräne Beherrschung der malerischen Mittel, zumindest für mich, dass Bignia Corradini mich als Betrachterin nie ausschließt, sondern im vollendeten Werk stets dessen Entstehungsprozess mit zum Ausdruck bringt. So bin ich, wenn immer ich vor ihren Bildwerken stehe, nicht nur Betrachterin eines Werks, sondern habe, auch wenn ich nicht in dessen Urgründe dringen kann, teil an dessen Werdegang. Und dieses innere Sehen von Bignia Corradinis Malerei nachvollziehen und ja, mit meinen eigenen Gedankengängen füllen kann.
© Elisabeth Grossmann, Aarau
Rede zur Eröffnung der Ausstellung »Losgelöste Zentren« in der Galerie Adrian Bleisch, Arbon am 27. April 2019
© Bignia Corradini und VG Bild-Kunst Bonn, 2019 / Foto: Guido Kasper
© Bignia Corradini und VG Bild-Kunst Bonn, 2019 / Foto: Guido Kasper
© Bignia Corradini und VG Bild-Kunst Bonn, 2019 / Foto: Guido Kasper
Elisabeth Grossmann, * 1947 Basel (CH). Studium der Kunstgeschichte, Volkskunde und Ethnologie in Basel, München und Zürich. Nach Tätigkeiten in verschiedenen Institutionen (u.a. Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft Zürich, Museum für Gestaltung Zürich, Fondation Le Corbusier Paris) Direktorin des Kunstmuseums des Kantons Thurgau Kartause Ittingen, Warth, des Museums Haus Konstruktiv Zürich sowie des Museums Kunst(Zeug)Haus Rapperswil-Jona. Sie ist Autorin zahlreicher Publikationen, vorwiegend über die Kunst der Schweiz.